Antonia Anner
über das Chlauschlöpf-Training in Ammerswil
Oftringen/Twann Wenn es «hudlet», bitterkalt ist und der Nebel auf die Dächer drückt, dann schätzt man deftigere Gaumenfreuden besonders. Eine spezielle Art des Kalorienverputzens und emsige Betriebsamkeit erwacht in der tristen Jahreszeit an der Dorfgasse in Twann – einstiger Weg nach Neuenburg – im Schlössli beim 46-jährigen Winzer und Önologen Stephan «Stöffu» Ruff. Seit drei Jahrzehnten erscheint jeweils Ende Januar eine Delegation aus dem Bezirk Zofingen zum Treberwurstessen in Twann. Organisatoren sind ex-Banker Heinz Krähenbühl aus Oftringen und der Uhrmacher Heinz Heller aus Zofingen.
Kari Zimmerli aus Brittnau pilotierte auch heuer wieder den Reisecar mit zwei Dutzend erwartungsvoller Mägen sicher über den «Röschtigrabe» ins zur später Stunde wie ausgestorben wirkende Städtchen. Nach einem ausgiebigen «Warm-up« neben der «Brönni» im Schau- und Degustationsraum, baten die Gastgeber die Gesellschaft, sich in die Weinstube (Carnotzet) an die rustikalen Tische und Bänke zu begeben. Nach einer gewohnt ausführlichen und kurzweiligen Begrüssung durch «Pacemaker» Heinz Krähenbühl wurde von Marlis, der treuen Seele des Hauses, zünftig aufgetischt, notabene mit Begleitung von edlen Weinen und feinem Marc (Tresterschnaps).
Vor den Gästen, ausgerüstet mit Messer und Gabel an der Tafel sitzend, folgt jeweils eine «Schaueinlage», wie Stephan Ruff sagt, die dem Gast gefällt und der Wurst nicht schadet: Mit einem zünftigen Spritzer Marc werden die rehbraunen, stattlichen Würste übergossen und flambiert. «Mhhh», raunt es durch die Runde, während die kleinen blauen Flammen die Wursthaut entlang züngeln.
Nun darf aufgeschnitten werden, und sogleich steigt ein feiner Marc-Duft empor. Auf der Zunge zeigt sich, ob die Komposition gelungen ist, ob sich das Aroma des Tresters mit jenem des geräucherten Fleisches und der Gewürze konkurrenzlos ergänzt. Wie ist das Erlebnis zu beschreiben? Es sei, sagt ein Schlemmer, «der Kampf des Alkohols gegen das Wurstfett». Zum Schluss ergeben sich beide, und der Geniesser ist der lachende Dritte.
Geschmeckt hat es allen hervorragend und wie viele der stattlichen Würste weggeputzt wurden und wie oft die Marcflasche die Runde machte, das soll ein Geheimnis bleiben wie die Treberwurst-Rezeptur. Pacemaker Heinz Krähenbühl und seinem «Sekundanten» Heinz Heller gelang es einmal mehr, den Gästen einen tollen, kalorienreichen und unterhaltsamen Abend zu ermöglichen.
Fast 100 Sorten Wurst soll es hierzulande geben. Es treffen französische, deutsche und italienische Einflüsse aufeinander, und diese spiegeln sich auch der Produktion wider. Weiter sagt man, dass die Blutwurst die «Urmutter» aller Würste sei. Eine kulinarische Wurst-Besonderheit am Bielersee ist die Treberwurst. Früher schnitten die Winzer in den Wintermonaten ihre Reben. Die Bise wehte dabei so stark, dass alle bis auf die Knochen durchfroren waren. Der einzig warme Ort war die Schnapsbrennerei. In der Pause diente sie den Rebbauern als Begegnungsort. Dabei kam einer auf die Idee, die Pausenwurst im Brennhafen zu wärmen, in welchem der Marc destilliert wurde.
Und schon war die Treberwurst geboren – eine Tradition, welche laut Überlieferung um 1870 entstanden ist. Die rehbraune Spezialität besteht zu 100 Prozent aus Schweinswurst und wird mit diversen Gewürzen verfeinert. Die Wurst wird im Dampf von ausgepressten Trauben, dem sogenannten Treber, erwärmt. Durch die Hitze dringen die Marc-Dämpfe heraus, dieses Schnapsaroma nimmt die Wurst dann auf.
Dies Treberwurst hat es also in sich. Oder würden sonst Leute aus allen Ecken der Schweiz an den Bielersee pilgern? Dabei klingt das Wurstrezept überhaupt nicht spektakulär: Schweinefleisch und Gewürze. Was allerdings genau in der Gewürzmischung drin ist, bleibt ein Geheimnis.
Sei’s drum, verantwortlich für den legendären Ruf ist so oder so etwas anderes: der Trester – das, was nach dem Pressen der Trauben übrig bleibt. Die in einer Schale im Brennhafen mit 78 Grad heissem Treberdampf erhitzte Wurst erfreut sich grosser Beliebtheit. Die kreuzweise aufgeschichteten Würste – jede ist zwischen 700 und 900 Gramm schwer – werden im dampfenden Brennhafen gut eine Stunde gegart.
Bruno Muntwyler
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