Antonia Anner
über das Chlauschlöpf-Training in Ammerswil
«So anders – Demenz stellt jede Beziehung auf die Probe» – zu diesem Thema gab es vor kurzem ein spannendes Referat im Pflegezentrum Lindenfeld in Suhr, das verschiedene Perspektiven aufzeigte.
Suhr Das Schweizerische Rote Kreuz Aargau und Alzheimer Aargau organisierten vor kurzem im Pflegezentrum Lindenfeld in Suhr ein Referat zum Thema Demenz, das auf grosses Interesse stiess. Dr. med. Irene Bopp-Kistler, Demenzexpertin und Geriaterin, konnte aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung als Ärztin und Beraterin schöpfen. Für sie ist es ein grosses Anliegen, sich neben den Demenzerkrankten auch für deren Angehörige einzusetzen, die manchmal einen sehr steinigen Weg gehen müssen und Beratung brauchen.
Subjektive Gedächtnisstörungen sind beim Älterwerden normal. Das Namensgedächtnis lässt nach, Neues zu lernen ist wesentlich schwieriger als früher. Das kann übergehen in eine leichte Hirnleistungsstörung ohne Einbussen im Alltag. Wenn diese Hirnleistungsstörung sich aber verschlimmert, die kognitiven Fähigkeiten abnehmen und dies zu klaren Einbussen im Alltag führt, redet man von Demenz. Der schleichende Prozess einer Demenz machen deren Prognose aber sehr schwierig. Das ist eine schlimme Situation für die Betroffenen und deren Angehörigen. Ein Abgrund öffnet sich, es herrscht Unverständnis, Konflikte können entstehen, es folgen Verunsicherung bis hin zu Depressionen.
Zu Beginn einer Demenz kämen von den Angehörigen viele Fragen, weiss Irene Bopp-Kistler aus ihren Sprechstunden zu erzählen. Oft gebe es ein Wechselbad zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, zwischen einer inneren Stärke der Angehörigen («wir schaffen das zusammen») und grosser Verzweiflung, denn das tut der Seele extrem weh. Demenz ist ein langsamer Abschied mit grossen Herausforderungen und Schmerzen. Oft verlieren Menschen mit beginnender Demenz langsam das Einfühlungsvermögen, werden antriebslos, ziehen sich zurück aus Angst vor unangenehmen Situation und sind nonstop im Erklärungsmodell, damit niemand etwas merkt. Die Demenzexpertin hört in der Sprechstunde auch oft Sätze von Frauen wie «Ich bin Witwe, obwohl mein Mann noch lebt. Ich liebe ihn noch, habe aber keinen Partner mehr» oder «Ich habe zwar noch einen Ehemann, mir fehlt aber die Kommunikation. Ich fühle mich alleine, wäre froh, wenn er nicht mehr da wäre; würde ihn aber trotzdem vermissen». Frauen sprechen öfter und offener über ihre Gefühle als Männer. Sie machen sich Sorgen über die Zukunft und sie fragen sich dann auch, wohin die Beziehung führen mag.
Für eine Demenz-Diagnose sei die Anamnese, also die professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen, für sie, neben allen anderen teils körperlichen Abklärungen, das wichtigste Diagnoseinstrument. Dafür nehme sie sich jeweils viel Zeit, betont Irene Bopp-Kistler. Was hat sich im Alltag der betroffenen Person alles verändert? Gibt es klare Alltagsstörungen? Zum Beispiel nicht mehr zu wissen, wie man etwa die Waschmaschine oder den Fernseher bedient.
Demenz ist ein Überbegriff für verschiedene Erkrankungen. Die häufigste Demenzform (jede zweite) ist die Alzheimerdemenz. Sie ist irreversibel, es gibt (noch) keine Heilung dafür. Das Diagnosegespräch löse oft Tränen und Wut aus, bringe aber auch Erleichterung und Klarheit. Für die Angehörigen bedeute das meistens, dass sie sich von ihrer vertrauten und ebenbürtigen Partnerschaft lösen müssen und in eine betreuende, pflegende Rolle gleiten. Ganz wichtig dabei sei es für die Angehörigen, dass sie sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren würden, unterstreicht Irene Bopp-Kistler. Niemand könne langfristig rund um die Uhr nur für den anderen da sein, niemand müsse ein «Übermensch» sein. So sei es für sie in der Sprechstunde auch sehr wichtig, zu fragen, was die Angehörigen konkret zur Unterstützung und zur Entlastung brauchen. Und bei zwei Dritteln der Betroffenen wird früher oder später der Übertritt in ein Heim ein Thema, was die Situation aber dann für beide Seiten nochmals verändert und in der Regel auch verbessert.
Solange das Gegenüber einer demenzerkrankten Person diese in seinem veränderten Sein annimmt und versteht, bleibt dessen Würde erhalten. Es gilt, die betroffene Person da abzuholen, wo sie steht und sich wahrnimmt, und ihr Geborgenheit zu vermitteln. Denn Bedürfnisse wie etwa Akzeptanz, Liebe und Verständnis bleiben bestehen.
Von Olivier Diethelm
www.alzheimer-schweiz.ch informiert, berät und unterstützt Menschen mit Demenz und deren Angehörige
Da und doch so fern – Vom liebevollen Umgang mit Demenzkranken (Autorin: Pauline Boss, ISBN: 978-3-907625-74-3).
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